Christvesper

24. Dezember 2023

Klosterkirche zu Cottbus

– es gilt das gesprochene Wort –

Predigttext: Galater 4, 4-7

Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und unter das Gesetz getan, auf dass er die, die unter dem Gesetz waren, loskaufte, damit wir die Kindschaft empfingen. Weil ihr nun Kinder seid, hat Gott den Geist seines Sohnes gesandt in unsre Herzen, der da ruft: Abba, lieber Vater! So bist du nun nicht mehr Knecht, sondern Kind; wenn aber Kind, dann auch Erbe durch Gott.

Predigt

Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und unserem Herrn Jesus Christus.         Gemeinde: Amen.

„Krisenmodus“. Das Wort des Jahres 2023, ausgewählt vor zwei Wochen von der „Gesellschaft für deutsche Sprache“. Krise als Dauerzustand. Erinnern Sie sich noch, wie das Wort des Jahres vor einem Jahr hieß? Die Entscheidung fiel 2022 auf das Wort „Zeitenwende“. Der Beginn einer neuen Ära. Geprägt von Bundeskanzler Olaf Scholz in seiner Regierungserklärung zum Ukrainekrieg, wenige Tage nach dem Beginn der Invasion Russlands am 24. Februar 2022. Der Kanzler sagte im Bundestag: „Wir erleben eine Zeitenwende. Und das bedeutet: Die Welt danach ist nicht mehr dieselbe wie davor.“

Vergleichbares ließe sich im Rückblick auf den Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober in diesem Jahr und den darauffolgenden Krieg in Gaza sagen; beides ist als „Beginn eines Zivilisationsbruchs“ bezeichnet worden. Und ich frage mich, ob das neu ist. Dass Menschen zu Opfern werden, wahllos und brutal. Ein Diktator mit Atomwaffen, eine Terrororganisation, die perfide mordet, oder eine Armee, die sie deshalb um jeden Preis vernichten will. Ist das nicht alles eine Steigerung grausamsten Ausmaßes? Aber eine Steigerung dessen, was schon lange da ist. Eher sehe ich, dass wir immer neuen Kipppunkten entgegengehen. Nicht nur beim menschengemachten Klimawandel, auch beim Verhältnis von Arm und Reich in unserer Welt und in unserem Land, bei der eskalierenden Gewalt an vielen Orten und in vielen Gesellschaften. Die Zeit ist erfüllt. Die Zeit ist reif für ein anderes Miteinander.

Dass die Zeit erfüllt war, weiß auch unser heutiger Predigttext. Aber Paulus hatte im Galaterbrief im 4. Kapitel ganz anderes vor Augen. Wir hören:

Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und unter das Gesetz getan, auf dass er die, die unter dem Gesetz waren, loskaufte, damit wir die Kindschaft empfingen. Weil ihr nun Kinder seid, hat Gott den Geist seines Sohnes gesandt in unsre Herzen, der da ruft: Abba, lieber Vater! So bist du nun nicht mehr Knecht, sondern Kind; wenn aber Kind, dann auch Erbe durch Gott.

„Als aber die Zeit erfüllt war.“ Ein Mönch im 6. Jahrhundert fand die Zeitenwende in der Geburt Christi. Seither rechnet man mit Jahren „vor Christi Geburt“ und „nach Christi Geburt“. Die vergangene und die künftige Geschichte wird auf ein Geschehen bezogen. Auf die Geburt eines Kindes, das weder Machthaber noch Armeeführer geworden ist. In der Weihnachtsgeschichte aus dem Lukasevangelium erscheint der Kaiser als Randfigur, dessen Befehl am Anfang einer Geschichte steht, die eine ungeahnte Wendung nimmt. „Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde.“ Aber dann verlagert sich das Interesse vom Kaiser zu einem Kind, von einem Befehl zu einer himmlischen Botschaft. Ein in Windeln gewickeltes Kind in einem zum Reisebett umfunktionierten Futtertrog wird zum Zeichen: „Ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen.“ Eine Handvoll Gott in einer Futterkrippe.

Dieses Kind markiert wirklich eine Zeitenwende. Für alle Welt – eine Handvoll Gott – aus offenem Himmel – aus der Mitte Gottes. Warum eine Zeitenwende? Es ist seitdem doch wenig besser geworden. Für viele Menschen jedenfalls.

Die Evangelien, die Lieder, die alten Überlieferungen sagen: Dieses Kind – am Anfang heißt es nur – das Kind; dieses Kind ist ein Kind wir ihr und es ist doch kein Kind wie ihr.

Es ist auch – eine Handvoll Gott. Es ist die Fülle im ohnmächtigsten Zustand, den Menschen kennen. Ein Neugeborenes, unfähig allein zu leben, sich in irgendeiner Weise selbst zu helfen. Es kann nur schreien. Ist ganz angewiesen darauf, dass man es hört, dass man ihm hilft, dass man es kleidet und wärmt, dass man es nährt und pflegt und streichelt und liebt.

Dampfen wir die Botschaft des Paulus an die Galater noch einmal ganz stark ein, dann hören wir:

Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und unter das Gesetz getan, damit wir die Kindschaft empfingen. Und als Kinder haben wir Teil an diesem Gottesverhältnis. Das Kind in der Krippe wird zu Gott später sagen: Abba, lieber Vater! Und dieses Gottesverhältnis haben wir geerbt. Das feiern wir heute.

Und Eigentum verpflichtet. Erbe verpflichtet. Darum liegt es an uns, zusammenzubringen, dass die Zeit damals erfüllt war und dass sie heute erfüllt ist. Damals war die Zeit erfüllt, als mit dem Kind Jesus eine Handvoll Gott in der Krippe lag. Heute ist die Zeit erfüllt, weil sie danach schreit, dass wir mit Gottes Botschaft Ernst machen.

In den ukrainischen Kindern, die vor einer brennenden Ölraffinerie spielen, sehen wir Gott. In den Kindern, die von ihrer als Geisel nach Gaza verschleppten Mutter wieder abends ins Bett gebracht werden, sehen wirGott.

Darum ist es gut, dass wir heute an der Krippe stehen und uns nicht satt sehen können. Nehmen wir uns reichlich mit von diesem Eindruck, von dem Kind, von seinem Strahlen aus den alten Liedern, von seinem Strahlen aus den Worten der Kinder in den Krippenspielen landauf, landab und werden beflügelt und verändert, leben neu als Gottes Kinder.

Als Paulus seine Zeilen an die Galater schrieb, kannte er das Fest Weihnachten noch nicht. Damals feierten die Chrstinnen und Christen Ostern. Aber er wusste: Ein jüdischer Junge wird geboren, der in Gottes Namen reden und handeln wird. Der am Kreuz sterben und den Gott von den Toten auferwecken wird. Mit dem sich im Rückblick alles verändert hat: Grenzen sind durchlässig geworden. Zwischen Tod und Leben. Zwischen dem Menschenmöglichen und Gottgewollten. Zwischen denen, die dazu gehören, und denen, die außen vor sind. Mit Jesu Geburt zieht Gottes Liebe weite Kreise. Ein Kind Israels als Hoffnungsträger für die Völkerwelt.

In diesem Kind zeigt sich kein künftiger Despot, der eine neue Ära der Gewaltherrschaft heraufführt. Vielmehr wird jemand geboren, der Gottes Geist vermittelt und der anschaulich macht, was es heißt, Gottes Kind zu sein. Mit einem Kind unterbricht Gott den Lauf der Zeit, verändert und erhellt ihn. Der Beginn einer Welt, die sich verändern kann.

Ein Kind hat das Licht der Welt erblickt, das Menschen zu Gottes Kindern macht. Sie zueinander auf Augenhöhe bringt. Die Welt erscheint in einem neuen Licht. Zukunftsmusik ist zu hören. Leise zwar, aber wer sie hört, behält sie im Kopf. Zu Weihnachten steht im Mittelpunkt, was Menschen verbindet. Menschen schauen auf das Kind in der Krippe und sehen das Kind in jedem Menschen. Alle sind von einer Frau geboren, bedürftig und verletzbar auf diese Welt gekommen, angewiesen auf andere. Nation, Religion, Herkunft – das spielt in diesem Moment keine Rolle. Wenn der Mensch im anderen den Mitmenschen entdeckt. Jesus wird davon erzählen.

Es ist kein Zufall, dass zu Weihnachten die Bereitschaft zu spenden groß ist. Weil Menschen ihre Mitmenschen wahrnehmen und ihnen Gutes tun. Keiner hat es verdient, Opfer von Gewalt zu werden. Niemand soll hungern. Gerechtigkeit und Frieden geben die Richtung vor. Die Sehnsucht ist groß nach dem, was Gott fordert und zugleich in Aussicht stellt.

Du bist Gottes Kind. Dafür hat Jesus Christus gesorgt. Was du erben wirst, steckt nicht in Grundbüchern, Bankschließfächern oder Aktienpakten. Vielmehr verbirgt sich dieses Erbe in einer Sehnsucht, die umso größer wird, je öfter Menschen sie teilen.

Weihnachten ist die grundstürzende und trotzdem so sanfte Aufforderung, als Kind Gottes zu leben. Das verändert die Welt.                                               Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alles, was wir zur Sache des Friedens zu denken wagen, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.                     Gemeinde: Amen.

 

Entscheidende Gedanken und Passagen dieser Predigt verdanke ich Christoph Kock und Gerhard Engelsberger.