Zweiter Christtag

26. Dezember 2023

Klosterkirche zu Cottbus

– es gilt das gesprochene Wort –

Predigttext:  2. Mose 2, 1-10

Und es ging hin ein Mann vom Hause Levi und nahm eine Tochter Levis zur Frau. Und sie ward schwanger und gebar einen Sohn. Und als sie sah, dass es ein feines Kind war, verbarg sie ihn drei Monate. Als sie ihn aber nicht länger verbergen konnte, nahm sie ein Kästlein von Rohr für ihn und verklebte es mit Erdharz und Pech und legte das Kind hinein und setzte das Kästlein in das Schilf am Ufer des Nils. Aber seine Schwester stand von ferne, um zu erfahren, wie es ihm ergehen würde. Und die Tochter des Pharao ging hinab und wollte baden im Nil, und ihre Dienerinnen gingen am Ufer hin und her. Und als sie das Kästlein im Schilf sah, sandte sie ihre Magd hin und ließ es holen. Und als sie es auftat, sah sie das Kind, und siehe, das Knäblein weinte. Da jammerte es sie, und sie sprach: Es ist eins von den hebräischen Kindlein. Da sprach seine Schwester zu der Tochter des Pharao: Soll ich hingehen und eine der hebräischen Frauen rufen, die da stillt, dass sie dir das Kindlein stille? Die Tochter des Pharao sprach zu ihr: Geh hin. Das Mädchen ging hin und rief die Mutter des Kindes. Da sprach die Tochter des Pharao zu ihr: Nimm das Kindlein mit und stille es mir; ich will es dir lohnen. Die Frau nahm das Kind und stillte es. Und als das Kind groß war, brachte sie es der Tochter des Pharao, und es ward ihr Sohn, und sie nannte ihn Mose; denn sie sprach: Ich habe ihn aus dem Wasser gezogen.

Predigt

Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und unserem Herrn Jesus Christus.    Gemeinde: Amen.

Es ist Weihnachten. Ein Kind ist geboren und die Geschichte der Geburt berührt uns. So ein Baby, das neugeboren in unseren Armen liegt, rührt uns im Innersten an. Das hat die Natur, das hat Gott so eingerichtet. Denn dieses Kind ist angewiesen auf Menschen. Es kann ohne Mutter, Vater oder andere erwachsene Menschen nicht leben. Ein Neugeborenes verkörpert das „Angewiesensein“ in absoluter Weise. Gleichzeitig spüren wir in der Verletzlichkeit des Kindes vielleicht auch unsere eigene Bedürftigkeit, unsere Abhängigkeit von Hilfe und Fürsorge. Die heutige Geschichte richtet den Blick auf die Menschen, die für so ein bedürftiges Kind sorgen.

Das Zentrum des heutigen Predigttextes ist nicht Moses. Ohne Shifra und Pua, die beiden hebräischen Hebammen, ohne Jochebed, die Mutter des Mose, ohne Mirjam, seine Schwester, und ohne die Tochter des Pharao gäbe es Mose nicht und auch die späteren Erzählungen vom brennenden Dornbusch, vom Auszug aus Ägypten und von der Übergabe der zehn Gebote wären nicht denkbar.

Moses verdankt sein Leben Schifra und Pua, zwei Hebammen in Ägypten, denen der Pharao befohlen hatte, hebräische Jungen bei der Geburt zu töten. Schifra und Pua aber folgen ihrer Berufung und dem Willen Gottes: Sie helfen Frauen dabei, Kinder zur Welt und ins Leben zu bringen. Sie töten nicht. Diese zwei Frauen beeindrucken mit ihrer stillen und konsequenten Haltung. Sie streiten nicht mit dem Pharao, sie kämpfen nicht gegen den Auftrag, sie führen ihn einfach nicht aus. Und sie wählen eine kluge Begründung: die hebräischen Frauen seien so stark. Sie bekämen die Kinder auch ohne Hilfe der Hebammen.

Moses verdankt sein Leben Jochebed, seiner Mutter. Sie bringt ihr Kind zur Welt und ist stolz und glücklich. Luther übersetzt: „Und als sie sah, dass es ein feines Kind war.“ Nun ja, ob das wirklich so war? Ob sie als Mutter nicht über jedes Kind glücklich gewesen wäre? Unter diesen Verhältnissen vielleicht sogar glücklicher über ein Mädchen. Das sei dahingestellt. Doch sie weiß: Wenn dieser Junge leben soll, muss sie ihn loslassen. Sie dichtet den Korb aus Papyrus gut ab, aber es bleibt ein furchterregendes Wagnis. Wird das Kind gefunden werden? Wird es in gute, liebevolle Hände kommen? So geht es Eltern zu allen Zeiten und rund um die Welt, wenn sie in der Not ihre Kinder auf ungewisse Reise schicken: die jüdischen Eltern, die ihre Kinder nach England oder Palästina schickten, um sie vor der Gaskammer zu retten. Die Mutter eines jungen Mannes aus Afghanistan, der in unserer Jungen Gemeinde war, die ihrem Sohn an der Grenze zum Irak zurief: Lauf, dass Du in Sicherheit bist. Und er lief und kam über die Grenze und schließlich nach Cottbus. Er entkam dem Kriegsdienst und den Taliban. Und die ganze restliche Familie schaffte es nicht. Die vielen Eltern in Ghana oder dem Senegal, die ihre Kinder auf die lange Reise nach Europa schicken, damit wenigstens sie eine Zukunft haben. Die israelische Mutter, die als Geisel der Hamas mit Mann und Kind aus dem Auto springt und dem Mann ihr 5-jähriges Kind in die Hand drückt, weil er schneller rennen kann und Vater und Kind schaffen es, sich vor der Hamas zu verstecken und die Mutter wird für fast zwei Monate zur Geisel. Nicht jedes Kind kommt an, wird gerettet und gut aufgenommen. Ich mag mir nicht vorstellen, wie schwer es ist, sein Kind so dem Ungewissen auszusetzen.

Moses verdankt sein Leben Mirjam, seiner großen Schwester. Sie wacht aufmerksam darüber, was mit dem Schilfkörbchen geschieht. Sie ist sofort zur Stelle, als die Tochter des Pharao das Baby aus dem Wasser holt. Und sie trägt unerschrocken die Lösung vor: Sie kenne eine hebräische Frau, die das Kind stillen könne. So eine mutige und entschlossene Schwester und Fürsprecherin brauchen die Kinder dieser Welt; Menschen, die einfach da sind und für das Notwendige sorgen, das Not-Wendende tun.

Moses verdankt sein Leben seiner Adoptivmutter, der Tochter des Pharao. Sie weiß, es ist ein Kind der Hebräer. Sie weiß, ihr Vater hat den Befehl ausgegeben, diese Kinder zu töten. Sie weiß es und sie widersetzt sich dem Herrscher und seinem unmenschlichen Befehl. Sie tut das nicht mit Worten, sondern mit einer einfachen, aber folgenreichen Entscheidung. Und vermutlich wusste oder ahnte sie, dass die Amme die Mutter war.

Diese Geschichte lässt den Zauber und die Macht von Mut und Solidarität spüren. In diesem Fall sind es fünf mutige Frauen. In der Weihnachtsgeschichte um Jesus sind mit Josef, den Hirten, den Weisen, vielleicht auch mit den Menschen, die die heilige Familie im Stall beherbergen auch Männer am Schutz des Kinderlebens beteiligt.

Für viele Menschen ist Weihnachten besonders schön, wenn neugeborene Kinder in der Familie oder im Freundeskreis dabei sind. Die Geburt eines Kindes und die ersten Monate und Jahre empfinden viele Menschen fast wie eine Weihnachtsgeschichte.

Machen wir es uns also gemütlich und kuschelig, wenn diese Geschichte aus alten Zeiten ihr gutes Ende gefunden hat und wir die Bibel schließen? Oder lesen wir bei Matthäus weiter und lesen, dass Jesus, diese Handvoll Gott in der Futterkrippe, schon nach wenigen Tagen ein Flüchtlingskind war? Hören wir die Stimmen der Hebammen und der Frauenärztinnen und Frauenärzte, die auf der ganzen Welt Kinder ins Leben holen und sich so wünschen, dass diese Kinder nicht sterben sollen in einem der sinnlosen Kriege, nicht verhungern sollen, weil die Lebensmittel ungerecht verteilt sind. Hören wir die Stimmen der Mütter und Väter, die ihre Kinder in das sichere Europa schicken und nehmen diese Kinder so selbstverständlich auf wie die Tochter des Pharao das getan hat oder wie im diesjährigen Krippenspiel hier in der Klosterkirche Michael, der sagt: „Ich schicke niemanden weg, der Hilfe braucht. Diese Leute haben an meine Tür geklopft. Darum werde ich ihnen helfen.“ Hören wir die Stimme Mirjams, die für ihren Bruder sorgt und die Trommel schlägt? Melden wir uns zu Wort, wenn an den Rändern Europas Schutzzentren geplant werden, in denen Menschen, die Asyl suchen, in haftähnlichen Verhältnissen festgehalten werden sollen?

Die Weihnachtsgeschichte zaubert uns nicht nur ein Lächeln ins Gesicht. Sie berührt, ermutigt und stößt an, Leben zu ermöglichen und zu retten. Wie Josef das getan hat, als er zu Maria stand. Wie die Weisen aus dem Morgenland das getan haben, als sie Josef und Maria vor den Häschern des Herodes warnten. Wie Michael, der Herbergswirt, als er seinem Herzen und seinen Überzeugungen folgte. Wie Maria, als sie der Botschaft des Engels vertraute und ihre Aufgabe annahm, eine Handvoll Gott zur Welt zu bringen. Oder wie die fünf Frauen, die Moses ins Leben gerettet haben.

Die Weihnachtsgeschichte, die Geschichte vom Kind Mose – ein Anstoß, in Beziehung zu treten, zu vertrauen, einander Schwester und Bruder zu sein.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, wird eure Herzen und Sinne in Christus Jesus bewahren.                                            

Gemeinde: Amen.

 

Pfarrer Wolfgang Gürtler

 

Dieser Predigt liegt eine Predigt von  Prädikantin Barbara Coors aus den Pastoralblättern zugrunde.