Christnacht
24.Dezember 2023 – 23.00 Uhr
Klosterkirche zu Cottbus
– es gilt das gesprochene Wort –
Predigttext: Lukas 2, 1-20
Liebe Nacht-Gemeinde hier in der Klosterkirche!
Wir sind gekommen in dieser Heiligen Nacht. Wir haben gehört: die alte Geschichte, die immer neu bleibt und immer neu wird. Sie wird uns auch in dieser Nacht guttun.
Wie Ihr Tag, wie Euer Abend war, das weiß ich nicht. Aber hier in dieser Kirche sind wir alle richtig. Wie schön, dass Sie da sind. Wie schön, dass wir hier in der Kirche sein können. Ich freue mich darüber, dass wir diesen besonderen, oft schönen, manchmal auch etwas schwierigen Tag gemeinsam beschließen.
Diese Heilige Nacht ist eine ganz besondere Zeit. Noch einmal oder zum ersten Mal sind wir in einer Kirche zusammengekommen. Uns verbindet die Erwartung, einzutauchen in das Geschehen dieser heiligen Nacht. Es begab sich aber zu der Zeit … Die vertrauten Worte bringen in uns mehr zum Klingen als wir selbst mit Worten ausdrücken können. In der Nacht, und gerade in dieser Nacht, neigen wir dazu, unser Herz, unsere Seele zu öffnen. Wir sind verletzlicher als am Tag. Wir erlauben es uns, angreifbar zu werden, den Panzer unserer Gewissheiten abzulegen oder ein wenig zu öffnen. Die Nacht ist nicht die Zeit des großen Jubels, des „Jauchzet, frohlocket!“. Jetzt hören wir auf die leisen Töne und öffnen uns für das Wunder. In dieser Nacht ist beides da. Eine gewaltige Botschaft, zum Fürchten zuerst. Und dann das Kleine und Zarte. Das große Ereignis im kleinen Kreis der Menschen im Stall.
Der Himmel platzt aus allen Nähten, reißt auf. Aus dem Riss quillt die Menge der himmlischen Mächte. Ein paar Landarbeiter vor Bethlehem werden Zeugen. Da liegt eine Handvoll Gott in Windeln gewickelt. Darauf war die ganze Weltgeschichte von Anbeginn hinausgelaufen. Und von nun an würde nichts mehr sein wie es war.
Nun rechnen sich die Zeiten anders.
Nun redet man über Gott anders.
Letzte werden zu Ersten.
Da liegt eine Handvoll Gott in einer Futterkrippe, in Windeln gewickelt. Und wir, wenn wir uns nicht schämen, wir beten diese Handvoll Gott an wie die Hirten, singen mit den Engeln Loblieder über die Wende der Zeiten. „Sohn Gottes in der Höh, nach dir ist mir so weh. Tröst mir mein Gemüte, o Kindlein zart und rein, durch alle deine Güte, o liebstes Jesulein. Zieh mich hin zu dir, zieh mich hin zu dir.“
Wir nehmen dankbar dieses Beten und Singen, auch das Hören und das an diesem Abend ganz andere Schweigen – im Glanz der Kerzen und der Herrnhuter Sterne schweigt es sich anders, mit anderen schweigt es sich anders.
Wir nehmen dankbar dieses Beten und Singen in uns auf und werden Teil davon. Wir nehmen das Hören und Schweigen in uns auf und werden Teil einer großen Gemeinde, die weit über die Mauern dieser Kirche ausgreift. Auch die, die allein gekommen sind, gehen anders nach Hause, ein wenig getrösteter, eingebunden in die Vielzahl der anderen, die neben, vor und hinter ihnen singen und beten.
Wir vergessen die nicht, die in diesem zu Ende gehenden Jahr gestorben sind. Wir sind ihnen jetzt, in diesem Licht, angesichts dieser Handvoll Gott und des verheißenen Friedens näher als sonst.
Wir vergessen die Menschen in den Kriegsländern nicht. Wir sind ihnen jetzt – angesichts dieses aufgebrochenen Himmels und all der Weite des göttlichen Herzens viel näher als sonst, mit unseren Tränen, mit unserer Sehnsucht nach Frieden.
Wir vergessen die Kranken nicht, nicht die auf den Pflegestationen und nicht die zu Hause, manche allein, in Sorge, mit Schmerzen. Wir sind ihnen jetzt näher angesichts dieser wehrlosen, fast ohnmächtigen Handvoll Gott, mit unseren Wünschen nach Heilung.
Wir vergessen die Obdachlosen nicht, nicht die, die vom Bürgergeld leben so schlecht und recht, die Biographien hinter den Statistiken, die Elenden bei uns. Wir sind ihnen jetzt, angesichts dieses Lichts, näher, weil es um ein verbrieftes, von Gott verheißenes Recht geht, wenn eine Leben und Wohnung, wenn einer Heilung und Frieden einklagt.
Seit vor Bethlehem der Himmel aufriss, hat jeder Mensch ein Recht auf einen barmherzigen Gott.
Seit dieser Stunde hat jeder Mensch ein in Gottes Namen von allen Himmeln proklamiertes Recht auf einen Retter,
das Menschenrecht auf Frieden,
das Recht auf einen offenen Himmel,
das Recht auf Teilhabe an dieser liebenden Kraft, die den Kosmos und das Treiben einer Karawanserei, in der in einer Ecke ein Kind geboren wird, verbindet.
Diese Handvoll Gott ist der Schlüssel zu aller Geschichte und die Antwort auf alle Fragen.
So predigt es Lukas. So tragen es die Hirten weiter und so bewegt es Maria in ihrem Herzen.
Das ist Evangelium.
Je dunkler die Welt, umso trotziger unser Schrei: Es ist doch verheißen.
Je kränker die Zeit, um so eindringlicher unser Gebet um Heilung.
Je elender die Aussicht, umso kräftiger unser Anspruch auf Weite.
Ich breche bei Frühnebel auf, die Prognose aber steht auf Sonne und guter Sicht.
Für alle Welt – eine Handvoll Gott – aus offenem Himmel – aus der Mitte Gottes.
Früher war mir das lange nicht so wichtig. Da war mir wichtig, dass dies Kind ein Kind ist wie wir. Das ist mir immer noch wichtig und es stimmt. Aber die Evangelien, die Lieder, die alten Überlieferungen, wollen uns sagen: Es ist ein Kind wie ihr und es ist doch kein Kind wie ihr. Es ist auch – eine Handvoll Gott. Es ist die Fülle Gottes im ohnmächtigsten Zustand, den Menschen kennen. Ein Neugeborenes, unfähig allein zu leben, sich in irgendeiner Weise selbst zu helfen. Es kann nur schreien. Es ist ganz angewiesen darauf, dass ein Mensch es hört, ihm hilft, es kleidet, es nährt uns streichelt und pflegt und liebt. Dass niemand es schlägt und tritt oder tötet oder misshandelt.
Diese Vorstellung der Fülle Gottes in einer Handvoll Mensch ist unbegreiflich.
Doch diese tiefe Vorstellung der alten Texte ist Wahrheit. Was Lukas in seiner sicherlich ausgeschmückten Geschichte erzählt, ist eine Erzählung. Die kann man schön finden, man kann sie auch belächeln und man kann sie morgen wieder eine Geschichte sein lassen unter anderen Geschichten.
Aber hinter dem Bild und hinter der Erzählung ist Wahrheit. Das ist die Wahrheit meines Lebens. Das ist die Wahrheit deines Lebens.
Selbst wenn ich der angewiesenste Mensch wäre, der bedürftigste und gefährdetste: Dieser Gott, der eine Gott, ist mein Retter. Ich muss vor ihm nicht strammstehen, ich muss ihn nicht fürchten.
Du verstehst, wenn du spürst: Gott will meine Liebe und meine Zärtlichkeit. Gott will mich überlegen und groß machen. Gott will mich als staunenden Vater, als dankbaren Hirten, der in der Klarheit sich bewegen lässt und sich der Wahrheit stellt. Gott legt sich dir einfach in die Hände und sagt: Jetzt hab mich lieb.
Du bist Maria, du bist Joseph. Du bist einer der Hirten. Schau, sagt Gott, jetzt stell dich neben mich, du siehst doch, ich brauche Windeln. Komm her, sagt Gott, nimm mich in die Hände, in die Arme, hülle mich ein, ich brauche Wärme.
Und du fragst: Gott, warum schlägt dein Herz wie das Herz eines neugeborenen Kindes?
Und du fragst: Gott, warum klingt dein Ruf wie der schwache Schrei aus dem Mund von 1500 Gramm Kind im Brutkasten einer Klinik?
Und Gott sagt: Ich will das so, damit du alle Angst verlierst. Dass du Vertrauen gewinnst. Dass du deine Aufgabe findest. Dass du dich selbst nicht zwingst. Dass du lieben lernst. Ganz von klein an lieben lernst. Und dass du spürst: Das ist die Mitte der Welt – die Liebe Gottes. Und du gehörst dazu wie jedes andere Geschöpf. Es gibt nicht die Geringen, die zu kurz kommen. Es gibt nicht die Mächtigen, die siegen. Es gibt – das habt zum Zeichen, ein Kind, in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegend. Es gibt – hört die Worte und seht die Klarheit – Frieden auf Erden allen Menschen seines Wohlgefallens.
Du weißt nun, dass es so ist, Hirte. Du weißt nun von dieser anderen Welt, kannst erzählen vom offenen Himmel, kannst berichten von dieser Handvoll Gott und den Engeln. Kannst vor allem aufrecht gehen, dich am Leben freuen, lieben, Gutes tun, Frieden schaffen und Recht üben.
Du hast an der Krippe gestanden. Du kannst nun erzählen, dass du dem Leben begegnet bist. So geht Weihnachten weiter. Wir Hirten, aus dem Stall mit der Handvoll Gott kommend, erzählen, dass wir dem Leben begegnet sind. Dem Grund des Lebens, dem Sinn des Lebens. Und werben. Und verlieren die Angst. Und wissen: Der Himmel schließt sich nicht wieder. Ich darf leben unter offenem Himmel
Und Gott sagt: Schau mal, damals habe ich dich um Wärme gebeten und du hast mir einen Mantel gegeben. Und als ich schrie nach Milch, da hast du die Flasche gewärmt. Als ich Atemnot hatte und auf der Intensivstation lag, hast du mir das richtige Medikament gegeben und mir die Hand gehalten. Als ich vor Gericht stand, hast du in mein Herz gesehen und nicht in meine Akten. Als ich allein war, hast du mir das Essen auf Rädern gebracht. Als ich einen Unfall hatte, bist du gekommen und hast mich in den Arm genommen. Und als ich eine Mutter brauchte, hast du eine Nacht bei mir geschlafen. Siehst du, du musst nicht aufrechnen, du musst nur vertrauen.
Der Himmel schließt sich nicht wieder. Er verdunkelt sich, er wird hell, er ist manchmal nah und manchmal fern. Aber er schließt sich nicht wieder. Diese Handvoll Mensch, Jesus Christus, der große Gott bürgt dir mit seinem Leben.
Nun geh und lebe in seinem Frieden. Du hast noch einiges vor dir. Es gibt noch so viele, die auf Hirten und Engel warten, die dem Leben begegnet sind.
Gott wird uns eines Tages die Augen öffnen.
Dann sehen wir nicht nur diese Handvoll Glanz. Dann werden wir die Fülle des Glanzes sehen und ertragen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, der wird unsere Herzen und Sinne bewahren in Christus Jesus. Amen.
Wolfgang Gürtler
Diese Predigt verdanke ich zu großen Teilen Pfarrer Gerhard Engelsberger.