Predigttext_______________________________
Matthäus 13, 44-46
Das Himmelreich gleicht einem Schatz, verborgen im Acker, den ein Mensch
fand und verbarg; und in seiner Freude geht er hin und verkauft alles, was er
hat, und kauft den Acker.
Wiederum gleicht das Himmelreich einem Kaufmann, der gute Perlen suchte,
und da er eine kostbare Perle fand, ging er hin und verkaufte alles, was er
hatte, und kaufte sie.
Predigt___________________________________
Vor vielen Jahren habe ich mal am Strand der Nordsee einen ungewöhnlichen
Stein gefunden. Nichts Besonderes. Dieser Stein hat mich nur durch seine
Ähnlichkeit mit einem halben Mischbrot sofort angesprochen. Er ist schwer.
Ich habe ihn mitgenommen und nehme ihn gern mal in die Hand. Auch das
eine oder andere Gespräch mit Konfirmandinnen und Konfirmanden habe ich
schon mit ihm begonnen. Dieser Fund war ein überraschender Fund.
Eigentlich habe ich nichts gesucht. Oft lasse ich Steine, die ich finde und die
mir gefallen, dann doch schließlich am Strand liegen, weil ich weiß: Zu Hause
werde ich sie nie wieder ansehen. Aber dieser Stein, dieser überraschende
Fund, wird mir immer in Erinnerung bleiben. Und ein anderer Mensch würde
ihn vermutlich gar nicht beachten. Für ihn oder sie wäre er nichts wert.
Als Evangelium und Predigttext haben wir heute den Text vom Schatz im
Acker und von der kostbaren Perle gehört. Jesus vergleicht das Himmelreich
mit diesen beiden Funden. Der eine Schatz wird so überraschend gefunden
2
WGü Predigt 28.07.24
wie mein Stein. Der Mann sucht nichts. Er bearbeitet einfach seinen Acker
und dann das. Vermutlich hat er einen Tontopf mit wertvollen Münzen
gefunden. Wertvolle Dinge wurden schon immer vergraben, um sie zu
verstecken oder sie vor dem Zugriff anderer Menschen zu schützen.
Ganz anders ist es mit der zweiten Geschichte. Der Kaufmann ist wohl einer,
der von Berufs wegen oder aus Passion nach wertvollen Perlen sucht, mit
langem Atem und viel Expertise. Und dann findet er sie – die kostbare Perle.
Was die beiden mit ihren durchaus vernünftigen Handlungen dann in Gang
setzen, ist sehr pragmatisch und wir wissen nicht, mit welchem Ziel sie das
tun. Der eine vergräbt den Schatz wieder und erwirbt legal den Acker. So
kann er mit Fug und Recht über diesen Schatz verfügen. Denn er hat ihn ja in
seinem Acker nicht gefunden, aber immerhin ausgegraben. Der andere
verkauft alles, um die kostbare Perle zu bekommen. Vielleicht mit dem Kalkül,
sie noch teurer zu verkaufen.
Das alles liegt im Dunkeln.
Im Frühjahr war unser Gemeindekirchenrat zu einer Rüstzeit in Kryzowa, in
Kreisau, in Polen. Auf der Suche nach einem interessanten Stopp am Sonntag
zwischen Gottesdienst und Rückfahrt haben wir eine kleine Stadt besucht,
auf die mich Wolfgang Iskraut, ein Kollege, hingewiesen hatte. Das war auf
der einen Seite fast so eine überraschende Schatz-Findung wie in der
biblischen Geschichte heute. Zum anderen erfuhren wir aber auch von einem
Mann, der sich um die Syngaoge in diesem Ort kümmert. Raphael Blau lebt
teils in Israel, teils in Dzierzoniów, dieser kleinen Stadt in Polen. Dieser Ort
hatte nach dem Krieg in einem Jahr drei Namen: Reichenbach / Rychbach /
Dzierzoniów. Kurz nach dem Holocaust wurde die selbstverwaltete „jüdische
Republik“ Rychbach gegründet. Sie existierte für vier Jahre. 1946 lebten in
diesem Ort 18.000 jüdische Menschen. Vor dem Krieg gab es eine jüdische
Gemeinde mit 70 Mitgliedern. Erzählen will ich aber von Raphael Blau, der
diese unzerstörte Synagoge irgendwann kaufte und nach und nach
3
WGü Predigt 28.07.24
restauriert. Er folgt damit offensichtlich einer großen Sehnsucht, möchte
diesen Ort erhalten und zugänglich machen. Aber er ist auch ein
Schatzsucher. Raphael Blau stöbert gern auf Flohmärkten. Was er an
interessanten Dingen und Schätzen findet, kann man im Erdgeschoss der
Synagoge bewundern. Eines fehlte der Synagoge noch. In dem
Gottesdienstraum in der ersten Etage konnte man klar erkennen, wo einmal
der Thoraschrein gewesen war, der Ort, an dem die Schriftrollen für den
gottesdienstlichen Gebrauch aufbewahrt wurden. Und dann fand Raphael
Blau in einem Antiquitätengeschäft einen Thoraschrein und war sofort
entschlossen, ihn für „seine“ Synagoge zu erwerben. Aber der Eigentümer
des Geschäfts sagte, der sei unverkäuflich. Man kann sich die Enttäuschung
vorstellen. Endlich war das, was der Synagoge fehlte, zum Greifen nahe und
dann diese Antwort. Es wird erzählt, dass Raphael Blau ungehalten war und
den Inhaber des Geschäfts zur Rede stellte. Der Grund war klar. Der
Geschäftsmann sagte: „Diesen Thoraschrein verkaufe ich nur an jemanden,
der eine Synagoge hat.“ Und Raphael Blau wird wohl sehr schnell
geantwortet haben: „Kein Problem, habe ich.“ Jedenfalls steht der
Thoraschrein heute in der Synagoge von Dzierzoniów.1
Diese Geschichte ist fast schon bibelwürdig. Natürlich ist sie nicht aus der
Bibel. Aber mit Tewje dem Milchmann aus dem Roman von Scholem
Alejchem könnte man sagen: Aber sie könnte drin stehen.
Jesus vergleicht die beiden Schätze mit dem Himmelreich. Eigentlich geht es
gar nicht um die Schätze, sondern es geht um das Himmelreich, das nicht
irgendwo in der Zukunft liegt, sondern unter uns schon da ist, schon beginnt,
immer mal aufblitzt. Aber richtig da ist es noch nicht.
1 Der Passus zur Synagoge in Dzierzoniów und zum Engagement von Raphael Blau bin ich
auf meine Erinnerung an die Führung in der Synagoge und auf Recherchen im Internet
angewiesen. Ungenauigkeit bitte ich – vor allem gegenüber Raphael Blau – zu
entschuldigen.
4
WGü Predigt 28.07.24
Und das Himmelreich finden, entdecken Menschen eben auf ganz
verschiedene Weise. Eher zufällig wie ich meinen Stein an der Nordsee oder
unser Gemeindekirchenrat das kleine Städtchen Dzierzoniów. Oder nach
langer Suche, von Sehnsucht geleitet, von Begeisterung getrieben, wie
Raphael Blau den Thoraschrein.
Das Himmelreich können alle Menschen finden. Arme und Reiche, Menschen,
die Gott noch nie bewusst begegnet sind und die, die schon lange in ihrem
Leben an ihn glauben und mit ihm leben.
Und das Himmelreich ist etwas Nicht-Alltägliches, obwohl es in unseren Alltag
einbricht, in ihm gefunden werden kann. Es ist unendlich wertvoll wie Schatz
und Perle und es übt eine Anziehungskraft auf Menschen aus.
An dieser Stelle habe ich nach weiteren Geschichten gesucht, in denen das
Reich Gottes, das Himmelreich in unserem Alltag aufblitzt. Aber ich will sie
lieber ermutigen, nach solchen Zipfeln des Himmelreichs in ihrem Leben zu
suchen, sie einander zu erzählen. Ich erzähle also hier jetzt keine.
Schließen will ich mit einem kurzen Abschnitt aus dem „kritischen
Katechismus“ von Gerd Theißen.2 Auf die Frage: Was ist Glaube an Gott?,
antwortet er:
Glaube/ vertraut nicht auf die Welt,/ wie sie ist,/ sondern wie sie durch Gottes
Willen/ sein könnte./ Glaube/ vertraut nicht darauf,/ dass alles von selbst gut
wird,/ sondern dass wir Gutes tun können/ auch gegen den Widerstand/ in
uns/ und in der Welt.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alles, was wir zur Sache des Friedens
zu denken wagen, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Gemeinde: Amen.
2 Gerd Theißen, Glaubenssätze. Ein kritischer Katechismus, München ³2013, S. 15, zitiert nach
Predigtstudien2023/2024, Perikopenreihe VI, Zweiter Halbband, S. 118
1
WGü Predigt 28.07.24
Gottesdienst am 9. Sonntag nach Trinitatis in der Klosterkirche zu
Cottbus
28. Juli 2024
Predigttext_______________________________
Matthäus 13, 44-46
Das Himmelreich gleicht einem Schatz, verborgen im Acker, den ein Mensch
fand und verbarg; und in seiner Freude geht er hin und verkauft alles, was er
hat, und kauft den Acker.
Wiederum gleicht das Himmelreich einem Kaufmann, der gute Perlen suchte,
und da er eine kostbare Perle fand, ging er hin und verkaufte alles, was er
hatte, und kaufte sie.
Predigt___________________________________
Vor vielen Jahren habe ich mal am Strand der Nordsee einen ungewöhnlichen
Stein gefunden. Nichts Besonderes. Dieser Stein hat mich nur durch seine
Ähnlichkeit mit einem halben Mischbrot sofort angesprochen. Er ist schwer.
Ich habe ihn mitgenommen und nehme ihn gern mal in die Hand. Auch das
eine oder andere Gespräch mit Konfirmandinnen und Konfirmanden habe ich
schon mit ihm begonnen. Dieser Fund war ein überraschender Fund.
Eigentlich habe ich nichts gesucht. Oft lasse ich Steine, die ich finde und die
mir gefallen, dann doch schließlich am Strand liegen, weil ich weiß: Zu Hause
werde ich sie nie wieder ansehen. Aber dieser Stein, dieser überraschende
Fund, wird mir immer in Erinnerung bleiben. Und ein anderer Mensch würde
ihn vermutlich gar nicht beachten. Für ihn oder sie wäre er nichts wert.
Als Evangelium und Predigttext haben wir heute den Text vom Schatz im
Acker und von der kostbaren Perle gehört. Jesus vergleicht das Himmelreich
mit diesen beiden Funden. Der eine Schatz wird so überraschend gefunden
2
WGü Predigt 28.07.24
wie mein Stein. Der Mann sucht nichts. Er bearbeitet einfach seinen Acker
und dann das. Vermutlich hat er einen Tontopf mit wertvollen Münzen
gefunden. Wertvolle Dinge wurden schon immer vergraben, um sie zu
verstecken oder sie vor dem Zugriff anderer Menschen zu schützen.
Ganz anders ist es mit der zweiten Geschichte. Der Kaufmann ist wohl einer,
der von Berufs wegen oder aus Passion nach wertvollen Perlen sucht, mit
langem Atem und viel Expertise. Und dann findet er sie – die kostbare Perle.
Was die beiden mit ihren durchaus vernünftigen Handlungen dann in Gang
setzen, ist sehr pragmatisch und wir wissen nicht, mit welchem Ziel sie das
tun. Der eine vergräbt den Schatz wieder und erwirbt legal den Acker. So
kann er mit Fug und Recht über diesen Schatz verfügen. Denn er hat ihn ja in
seinem Acker nicht gefunden, aber immerhin ausgegraben. Der andere
verkauft alles, um die kostbare Perle zu bekommen. Vielleicht mit dem Kalkül,
sie noch teurer zu verkaufen.
Das alles liegt im Dunkeln.
Im Frühjahr war unser Gemeindekirchenrat zu einer Rüstzeit in Kryzowa, in
Kreisau, in Polen. Auf der Suche nach einem interessanten Stopp am Sonntag
zwischen Gottesdienst und Rückfahrt haben wir eine kleine Stadt besucht,
auf die mich Wolfgang Iskraut, ein Kollege, hingewiesen hatte. Das war auf
der einen Seite fast so eine überraschende Schatz-Findung wie in der
biblischen Geschichte heute. Zum anderen erfuhren wir aber auch von einem
Mann, der sich um die Syngaoge in diesem Ort kümmert. Raphael Blau lebt
teils in Israel, teils in Dzierzoniów, dieser kleinen Stadt in Polen. Dieser Ort
hatte nach dem Krieg in einem Jahr drei Namen: Reichenbach / Rychbach /
Dzierzoniów. Kurz nach dem Holocaust wurde die selbstverwaltete „jüdische
Republik“ Rychbach gegründet. Sie existierte für vier Jahre. 1946 lebten in
diesem Ort 18.000 jüdische Menschen. Vor dem Krieg gab es eine jüdische
Gemeinde mit 70 Mitgliedern. Erzählen will ich aber von Raphael Blau, der
diese unzerstörte Synagoge irgendwann kaufte und nach und nach
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WGü Predigt 28.07.24
restauriert. Er folgt damit offensichtlich einer großen Sehnsucht, möchte
diesen Ort erhalten und zugänglich machen. Aber er ist auch ein
Schatzsucher. Raphael Blau stöbert gern auf Flohmärkten. Was er an
interessanten Dingen und Schätzen findet, kann man im Erdgeschoss der
Synagoge bewundern. Eines fehlte der Synagoge noch. In dem
Gottesdienstraum in der ersten Etage konnte man klar erkennen, wo einmal
der Thoraschrein gewesen war, der Ort, an dem die Schriftrollen für den
gottesdienstlichen Gebrauch aufbewahrt wurden. Und dann fand Raphael
Blau in einem Antiquitätengeschäft einen Thoraschrein und war sofort
entschlossen, ihn für „seine“ Synagoge zu erwerben. Aber der Eigentümer
des Geschäfts sagte, der sei unverkäuflich. Man kann sich die Enttäuschung
vorstellen. Endlich war das, was der Synagoge fehlte, zum Greifen nahe und
dann diese Antwort. Es wird erzählt, dass Raphael Blau ungehalten war und
den Inhaber des Geschäfts zur Rede stellte. Der Grund war klar. Der
Geschäftsmann sagte: „Diesen Thoraschrein verkaufe ich nur an jemanden,
der eine Synagoge hat.“ Und Raphael Blau wird wohl sehr schnell
geantwortet haben: „Kein Problem, habe ich.“ Jedenfalls steht der
Thoraschrein heute in der Synagoge von Dzierzoniów.1
Diese Geschichte ist fast schon bibelwürdig. Natürlich ist sie nicht aus der
Bibel. Aber mit Tewje dem Milchmann aus dem Roman von Scholem
Alejchem könnte man sagen: Aber sie könnte drin stehen.
Jesus vergleicht die beiden Schätze mit dem Himmelreich. Eigentlich geht es
gar nicht um die Schätze, sondern es geht um das Himmelreich, das nicht
irgendwo in der Zukunft liegt, sondern unter uns schon da ist, schon beginnt,
immer mal aufblitzt. Aber richtig da ist es noch nicht.
1 Der Passus zur Synagoge in Dzierzoniów und zum Engagement von Raphael Blau bin ich
auf meine Erinnerung an die Führung in der Synagoge und auf Recherchen im Internet
angewiesen. Ungenauigkeit bitte ich – vor allem gegenüber Raphael Blau – zu
entschuldigen.
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WGü Predigt 28.07.24
Und das Himmelreich finden, entdecken Menschen eben auf ganz
verschiedene Weise. Eher zufällig wie ich meinen Stein an der Nordsee oder
unser Gemeindekirchenrat das kleine Städtchen Dzierzoniów. Oder nach
langer Suche, von Sehnsucht geleitet, von Begeisterung getrieben, wie
Raphael Blau den Thoraschrein.
Das Himmelreich können alle Menschen finden. Arme und Reiche, Menschen,
die Gott noch nie bewusst begegnet sind und die, die schon lange in ihrem
Leben an ihn glauben und mit ihm leben.
Und das Himmelreich ist etwas Nicht-Alltägliches, obwohl es in unseren Alltag
einbricht, in ihm gefunden werden kann. Es ist unendlich wertvoll wie Schatz
und Perle und es übt eine Anziehungskraft auf Menschen aus.
An dieser Stelle habe ich nach weiteren Geschichten gesucht, in denen das
Reich Gottes, das Himmelreich in unserem Alltag aufblitzt. Aber ich will sie
lieber ermutigen, nach solchen Zipfeln des Himmelreichs in ihrem Leben zu
suchen, sie einander zu erzählen. Ich erzähle also hier jetzt keine.
Schließen will ich mit einem kurzen Abschnitt aus dem „kritischen
Katechismus“ von Gerd Theißen.2 Auf die Frage: Was ist Glaube an Gott?,
antwortet er:
Glaube/ vertraut nicht auf die Welt,/ wie sie ist,/ sondern wie sie durch Gottes
Willen/ sein könnte./ Glaube/ vertraut nicht darauf,/ dass alles von selbst gut
wird,/ sondern dass wir Gutes tun können/ auch gegen den Widerstand/ in
uns/ und in der Welt.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alles, was wir zur Sache des Friedens
zu denken wagen, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Gemeinde: Amen.
2 Gerd Theißen, Glaubenssätze. Ein kritischer Katechismus, München ³2013, S. 15, zitiert nach
Predigtstudien2023/2024, Perikopenreihe VI, Zweiter Halbband, S. 118
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WGü Predigt 28.07.24
Gottesdienst am 9. Sonntag nach Trinitatis in der Klosterkirche zu
Cottbus
28. Juli 2024
Predigttext_______________________________
Matthäus 13, 44-46
Das Himmelreich gleicht einem Schatz, verborgen im Acker, den ein Mensch
fand und verbarg; und in seiner Freude geht er hin und verkauft alles, was er
hat, und kauft den Acker.
Wiederum gleicht das Himmelreich einem Kaufmann, der gute Perlen suchte,
und da er eine kostbare Perle fand, ging er hin und verkaufte alles, was er
hatte, und kaufte sie.
Predigt___________________________________
Vor vielen Jahren habe ich mal am Strand der Nordsee einen ungewöhnlichen
Stein gefunden. Nichts Besonderes. Dieser Stein hat mich nur durch seine
Ähnlichkeit mit einem halben Mischbrot sofort angesprochen. Er ist schwer.
Ich habe ihn mitgenommen und nehme ihn gern mal in die Hand. Auch das
eine oder andere Gespräch mit Konfirmandinnen und Konfirmanden habe ich
schon mit ihm begonnen. Dieser Fund war ein überraschender Fund.
Eigentlich habe ich nichts gesucht. Oft lasse ich Steine, die ich finde und die
mir gefallen, dann doch schließlich am Strand liegen, weil ich weiß: Zu Hause
werde ich sie nie wieder ansehen. Aber dieser Stein, dieser überraschende
Fund, wird mir immer in Erinnerung bleiben. Und ein anderer Mensch würde
ihn vermutlich gar nicht beachten. Für ihn oder sie wäre er nichts wert.
Als Evangelium und Predigttext haben wir heute den Text vom Schatz im
Acker und von der kostbaren Perle gehört. Jesus vergleicht das Himmelreich
mit diesen beiden Funden. Der eine Schatz wird so überraschend gefunden
2
WGü Predigt 28.07.24
wie mein Stein. Der Mann sucht nichts. Er bearbeitet einfach seinen Acker
und dann das. Vermutlich hat er einen Tontopf mit wertvollen Münzen
gefunden. Wertvolle Dinge wurden schon immer vergraben, um sie zu
verstecken oder sie vor dem Zugriff anderer Menschen zu schützen.
Ganz anders ist es mit der zweiten Geschichte. Der Kaufmann ist wohl einer,
der von Berufs wegen oder aus Passion nach wertvollen Perlen sucht, mit
langem Atem und viel Expertise. Und dann findet er sie – die kostbare Perle.
Was die beiden mit ihren durchaus vernünftigen Handlungen dann in Gang
setzen, ist sehr pragmatisch und wir wissen nicht, mit welchem Ziel sie das
tun. Der eine vergräbt den Schatz wieder und erwirbt legal den Acker. So
kann er mit Fug und Recht über diesen Schatz verfügen. Denn er hat ihn ja in
seinem Acker nicht gefunden, aber immerhin ausgegraben. Der andere
verkauft alles, um die kostbare Perle zu bekommen. Vielleicht mit dem Kalkül,
sie noch teurer zu verkaufen.
Das alles liegt im Dunkeln.
Im Frühjahr war unser Gemeindekirchenrat zu einer Rüstzeit in Kryzowa, in
Kreisau, in Polen. Auf der Suche nach einem interessanten Stopp am Sonntag
zwischen Gottesdienst und Rückfahrt haben wir eine kleine Stadt besucht,
auf die mich Wolfgang Iskraut, ein Kollege, hingewiesen hatte. Das war auf
der einen Seite fast so eine überraschende Schatz-Findung wie in der
biblischen Geschichte heute. Zum anderen erfuhren wir aber auch von einem
Mann, der sich um die Syngaoge in diesem Ort kümmert. Raphael Blau lebt
teils in Israel, teils in Dzierzoniów, dieser kleinen Stadt in Polen. Dieser Ort
hatte nach dem Krieg in einem Jahr drei Namen: Reichenbach / Rychbach /
Dzierzoniów. Kurz nach dem Holocaust wurde die selbstverwaltete „jüdische
Republik“ Rychbach gegründet. Sie existierte für vier Jahre. 1946 lebten in
diesem Ort 18.000 jüdische Menschen. Vor dem Krieg gab es eine jüdische
Gemeinde mit 70 Mitgliedern. Erzählen will ich aber von Raphael Blau, der
diese unzerstörte Synagoge irgendwann kaufte und nach und nach
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WGü Predigt 28.07.24
restauriert. Er folgt damit offensichtlich einer großen Sehnsucht, möchte
diesen Ort erhalten und zugänglich machen. Aber er ist auch ein
Schatzsucher. Raphael Blau stöbert gern auf Flohmärkten. Was er an
interessanten Dingen und Schätzen findet, kann man im Erdgeschoss der
Synagoge bewundern. Eines fehlte der Synagoge noch. In dem
Gottesdienstraum in der ersten Etage konnte man klar erkennen, wo einmal
der Thoraschrein gewesen war, der Ort, an dem die Schriftrollen für den
gottesdienstlichen Gebrauch aufbewahrt wurden. Und dann fand Raphael
Blau in einem Antiquitätengeschäft einen Thoraschrein und war sofort
entschlossen, ihn für „seine“ Synagoge zu erwerben. Aber der Eigentümer
des Geschäfts sagte, der sei unverkäuflich. Man kann sich die Enttäuschung
vorstellen. Endlich war das, was der Synagoge fehlte, zum Greifen nahe und
dann diese Antwort. Es wird erzählt, dass Raphael Blau ungehalten war und
den Inhaber des Geschäfts zur Rede stellte. Der Grund war klar. Der
Geschäftsmann sagte: „Diesen Thoraschrein verkaufe ich nur an jemanden,
der eine Synagoge hat.“ Und Raphael Blau wird wohl sehr schnell
geantwortet haben: „Kein Problem, habe ich.“ Jedenfalls steht der
Thoraschrein heute in der Synagoge von Dzierzoniów.1
Diese Geschichte ist fast schon bibelwürdig. Natürlich ist sie nicht aus der
Bibel. Aber mit Tewje dem Milchmann aus dem Roman von Scholem
Alejchem könnte man sagen: Aber sie könnte drin stehen.
Jesus vergleicht die beiden Schätze mit dem Himmelreich. Eigentlich geht es
gar nicht um die Schätze, sondern es geht um das Himmelreich, das nicht
irgendwo in der Zukunft liegt, sondern unter uns schon da ist, schon beginnt,
immer mal aufblitzt. Aber richtig da ist es noch nicht.
1 Der Passus zur Synagoge in Dzierzoniów und zum Engagement von Raphael Blau bin ich
auf meine Erinnerung an die Führung in der Synagoge und auf Recherchen im Internet
angewiesen. Ungenauigkeit bitte ich – vor allem gegenüber Raphael Blau – zu
entschuldigen.
4
WGü Predigt 28.07.24
Und das Himmelreich finden, entdecken Menschen eben auf ganz
verschiedene Weise. Eher zufällig wie ich meinen Stein an der Nordsee oder
unser Gemeindekirchenrat das kleine Städtchen Dzierzoniów. Oder nach
langer Suche, von Sehnsucht geleitet, von Begeisterung getrieben, wie
Raphael Blau den Thoraschrein.
Das Himmelreich können alle Menschen finden. Arme und Reiche, Menschen,
die Gott noch nie bewusst begegnet sind und die, die schon lange in ihrem
Leben an ihn glauben und mit ihm leben.
Und das Himmelreich ist etwas Nicht-Alltägliches, obwohl es in unseren Alltag
einbricht, in ihm gefunden werden kann. Es ist unendlich wertvoll wie Schatz
und Perle und es übt eine Anziehungskraft auf Menschen aus.
An dieser Stelle habe ich nach weiteren Geschichten gesucht, in denen das
Reich Gottes, das Himmelreich in unserem Alltag aufblitzt. Aber ich will sie
lieber ermutigen, nach solchen Zipfeln des Himmelreichs in ihrem Leben zu
suchen, sie einander zu erzählen. Ich erzähle also hier jetzt keine.
Schließen will ich mit einem kurzen Abschnitt aus dem „kritischen
Katechismus“ von Gerd Theißen.2 Auf die Frage: Was ist Glaube an Gott?,
antwortet er:
Glaube/ vertraut nicht auf die Welt,/ wie sie ist,/ sondern wie sie durch Gottes
Willen/ sein könnte./ Glaube/ vertraut nicht darauf,/ dass alles von selbst gut
wird,/ sondern dass wir Gutes tun können/ auch gegen den Widerstand/ in
uns/ und in der Welt.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alles, was wir zur Sache des Friedens
zu denken wagen, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Gemeinde: Amen.
2 Gerd Theißen, Glaubenssätze. Ein kritischer Katechismus, München ³2013, S. 15, zitiert nach
Predigtstudien2023/2024, Perikopenreihe VI, Zweiter Halbband, S. 118
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WGü Predigt 28.07.24
Gottesdienst am 9. Sonntag nach Trinitatis in der Klosterkirche zu
Cottbus
28. Juli 2024
Predigttext_______________________________
Matthäus 13, 44-46
Das Himmelreich gleicht einem Schatz, verborgen im Acker, den ein Mensch
fand und verbarg; und in seiner Freude geht er hin und verkauft alles, was er
hat, und kauft den Acker.
Wiederum gleicht das Himmelreich einem Kaufmann, der gute Perlen suchte,
und da er eine kostbare Perle fand, ging er hin und verkaufte alles, was er
hatte, und kaufte sie.
Predigt___________________________________
Vor vielen Jahren habe ich mal am Strand der Nordsee einen ungewöhnlichen
Stein gefunden. Nichts Besonderes. Dieser Stein hat mich nur durch seine
Ähnlichkeit mit einem halben Mischbrot sofort angesprochen. Er ist schwer.
Ich habe ihn mitgenommen und nehme ihn gern mal in die Hand. Auch das
eine oder andere Gespräch mit Konfirmandinnen und Konfirmanden habe ich
schon mit ihm begonnen. Dieser Fund war ein überraschender Fund.
Eigentlich habe ich nichts gesucht. Oft lasse ich Steine, die ich finde und die
mir gefallen, dann doch schließlich am Strand liegen, weil ich weiß: Zu Hause
werde ich sie nie wieder ansehen. Aber dieser Stein, dieser überraschende
Fund, wird mir immer in Erinnerung bleiben. Und ein anderer Mensch würde
ihn vermutlich gar nicht beachten. Für ihn oder sie wäre er nichts wert.
Als Evangelium und Predigttext haben wir heute den Text vom Schatz im
Acker und von der kostbaren Perle gehört. Jesus vergleicht das Himmelreich
mit diesen beiden Funden. Der eine Schatz wird so überraschend gefunden
2
WGü Predigt 28.07.24
wie mein Stein. Der Mann sucht nichts. Er bearbeitet einfach seinen Acker
und dann das. Vermutlich hat er einen Tontopf mit wertvollen Münzen
gefunden. Wertvolle Dinge wurden schon immer vergraben, um sie zu
verstecken oder sie vor dem Zugriff anderer Menschen zu schützen.
Ganz anders ist es mit der zweiten Geschichte. Der Kaufmann ist wohl einer,
der von Berufs wegen oder aus Passion nach wertvollen Perlen sucht, mit
langem Atem und viel Expertise. Und dann findet er sie – die kostbare Perle.
Was die beiden mit ihren durchaus vernünftigen Handlungen dann in Gang
setzen, ist sehr pragmatisch und wir wissen nicht, mit welchem Ziel sie das
tun. Der eine vergräbt den Schatz wieder und erwirbt legal den Acker. So
kann er mit Fug und Recht über diesen Schatz verfügen. Denn er hat ihn ja in
seinem Acker nicht gefunden, aber immerhin ausgegraben. Der andere
verkauft alles, um die kostbare Perle zu bekommen. Vielleicht mit dem Kalkül,
sie noch teurer zu verkaufen.
Das alles liegt im Dunkeln.
Im Frühjahr war unser Gemeindekirchenrat zu einer Rüstzeit in Kryzowa, in
Kreisau, in Polen. Auf der Suche nach einem interessanten Stopp am Sonntag
zwischen Gottesdienst und Rückfahrt haben wir eine kleine Stadt besucht,
auf die mich Wolfgang Iskraut, ein Kollege, hingewiesen hatte. Das war auf
der einen Seite fast so eine überraschende Schatz-Findung wie in der
biblischen Geschichte heute. Zum anderen erfuhren wir aber auch von einem
Mann, der sich um die Syngaoge in diesem Ort kümmert. Raphael Blau lebt
teils in Israel, teils in Dzierzoniów, dieser kleinen Stadt in Polen. Dieser Ort
hatte nach dem Krieg in einem Jahr drei Namen: Reichenbach / Rychbach /
Dzierzoniów. Kurz nach dem Holocaust wurde die selbstverwaltete „jüdische
Republik“ Rychbach gegründet. Sie existierte für vier Jahre. 1946 lebten in
diesem Ort 18.000 jüdische Menschen. Vor dem Krieg gab es eine jüdische
Gemeinde mit 70 Mitgliedern. Erzählen will ich aber von Raphael Blau, der
diese unzerstörte Synagoge irgendwann kaufte und nach und nach
3
WGü Predigt 28.07.24
restauriert. Er folgt damit offensichtlich einer großen Sehnsucht, möchte
diesen Ort erhalten und zugänglich machen. Aber er ist auch ein
Schatzsucher. Raphael Blau stöbert gern auf Flohmärkten. Was er an
interessanten Dingen und Schätzen findet, kann man im Erdgeschoss der
Synagoge bewundern. Eines fehlte der Synagoge noch. In dem
Gottesdienstraum in der ersten Etage konnte man klar erkennen, wo einmal
der Thoraschrein gewesen war, der Ort, an dem die Schriftrollen für den
gottesdienstlichen Gebrauch aufbewahrt wurden. Und dann fand Raphael
Blau in einem Antiquitätengeschäft einen Thoraschrein und war sofort
entschlossen, ihn für „seine“ Synagoge zu erwerben. Aber der Eigentümer
des Geschäfts sagte, der sei unverkäuflich. Man kann sich die Enttäuschung
vorstellen. Endlich war das, was der Synagoge fehlte, zum Greifen nahe und
dann diese Antwort. Es wird erzählt, dass Raphael Blau ungehalten war und
den Inhaber des Geschäfts zur Rede stellte. Der Grund war klar. Der
Geschäftsmann sagte: „Diesen Thoraschrein verkaufe ich nur an jemanden,
der eine Synagoge hat.“ Und Raphael Blau wird wohl sehr schnell
geantwortet haben: „Kein Problem, habe ich.“ Jedenfalls steht der
Thoraschrein heute in der Synagoge von Dzierzoniów.1
Diese Geschichte ist fast schon bibelwürdig. Natürlich ist sie nicht aus der
Bibel. Aber mit Tewje dem Milchmann aus dem Roman von Scholem
Alejchem könnte man sagen: Aber sie könnte drin stehen.
Jesus vergleicht die beiden Schätze mit dem Himmelreich. Eigentlich geht es
gar nicht um die Schätze, sondern es geht um das Himmelreich, das nicht
irgendwo in der Zukunft liegt, sondern unter uns schon da ist, schon beginnt,
immer mal aufblitzt. Aber richtig da ist es noch nicht.
1 Der Passus zur Synagoge in Dzierzoniów und zum Engagement von Raphael Blau bin ich
auf meine Erinnerung an die Führung in der Synagoge und auf Recherchen im Internet
angewiesen. Ungenauigkeit bitte ich – vor allem gegenüber Raphael Blau – zu
entschuldigen.
4
WGü Predigt 28.07.24
Und das Himmelreich finden, entdecken Menschen eben auf ganz
verschiedene Weise. Eher zufällig wie ich meinen Stein an der Nordsee oder
unser Gemeindekirchenrat das kleine Städtchen Dzierzoniów. Oder nach
langer Suche, von Sehnsucht geleitet, von Begeisterung getrieben, wie
Raphael Blau den Thoraschrein.
Das Himmelreich können alle Menschen finden. Arme und Reiche, Menschen,
die Gott noch nie bewusst begegnet sind und die, die schon lange in ihrem
Leben an ihn glauben und mit ihm leben.
Und das Himmelreich ist etwas Nicht-Alltägliches, obwohl es in unseren Alltag
einbricht, in ihm gefunden werden kann. Es ist unendlich wertvoll wie Schatz
und Perle und es übt eine Anziehungskraft auf Menschen aus.
An dieser Stelle habe ich nach weiteren Geschichten gesucht, in denen das
Reich Gottes, das Himmelreich in unserem Alltag aufblitzt. Aber ich will sie
lieber ermutigen, nach solchen Zipfeln des Himmelreichs in ihrem Leben zu
suchen, sie einander zu erzählen. Ich erzähle also hier jetzt keine.
Schließen will ich mit einem kurzen Abschnitt aus dem „kritischen
Katechismus“ von Gerd Theißen.2 Auf die Frage: Was ist Glaube an Gott?,
antwortet er:
Glaube/ vertraut nicht auf die Welt,/ wie sie ist,/ sondern wie sie durch Gottes
Willen/ sein könnte./ Glaube/ vertraut nicht darauf,/ dass alles von selbst gut
wird,/ sondern dass wir Gutes tun können/ auch gegen den Widerstand/ in
uns/ und in der Welt.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alles, was wir zur Sache des Friedens
zu denken wagen, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Gemeinde: Amen.
2 Gerd Theißen, Glaubenssätze. Ein kritischer Katechismus, München ³2013, S. 15, zitiert nach
Predigtstudien2023/2024, Perikopenreihe VI, Zweiter Halbband, S. 118
1
WGü Predigt 28.07.24
Gottesdienst am 9. Sonntag nach Trinitatis in der Klosterkirche zu
Cottbus
28. Juli 2024
Predigttext_______________________________
Matthäus 13, 44-46
Das Himmelreich gleicht einem Schatz, verborgen im Acker, den ein Mensch
fand und verbarg; und in seiner Freude geht er hin und verkauft alles, was er
hat, und kauft den Acker.
Wiederum gleicht das Himmelreich einem Kaufmann, der gute Perlen suchte,
und da er eine kostbare Perle fand, ging er hin und verkaufte alles, was er
hatte, und kaufte sie.
Predigt___________________________________
Vor vielen Jahren habe ich mal am Strand der Nordsee einen ungewöhnlichen
Stein gefunden. Nichts Besonderes. Dieser Stein hat mich nur durch seine
Ähnlichkeit mit einem halben Mischbrot sofort angesprochen. Er ist schwer.
Ich habe ihn mitgenommen und nehme ihn gern mal in die Hand. Auch das
eine oder andere Gespräch mit Konfirmandinnen und Konfirmanden habe ich
schon mit ihm begonnen. Dieser Fund war ein überraschender Fund.
Eigentlich habe ich nichts gesucht. Oft lasse ich Steine, die ich finde und die
mir gefallen, dann doch schließlich am Strand liegen, weil ich weiß: Zu Hause
werde ich sie nie wieder ansehen. Aber dieser Stein, dieser überraschende
Fund, wird mir immer in Erinnerung bleiben. Und ein anderer Mensch würde
ihn vermutlich gar nicht beachten. Für ihn oder sie wäre er nichts wert.
Als Evangelium und Predigttext haben wir heute den Text vom Schatz im
Acker und von der kostbaren Perle gehört. Jesus vergleicht das Himmelreich
mit diesen beiden Funden. Der eine Schatz wird so überraschend gefunden
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WGü Predigt 28.07.24
wie mein Stein. Der Mann sucht nichts. Er bearbeitet einfach seinen Acker
und dann das. Vermutlich hat er einen Tontopf mit wertvollen Münzen
gefunden. Wertvolle Dinge wurden schon immer vergraben, um sie zu
verstecken oder sie vor dem Zugriff anderer Menschen zu schützen.
Ganz anders ist es mit der zweiten Geschichte. Der Kaufmann ist wohl einer,
der von Berufs wegen oder aus Passion nach wertvollen Perlen sucht, mit
langem Atem und viel Expertise. Und dann findet er sie – die kostbare Perle.
Was die beiden mit ihren durchaus vernünftigen Handlungen dann in Gang
setzen, ist sehr pragmatisch und wir wissen nicht, mit welchem Ziel sie das
tun. Der eine vergräbt den Schatz wieder und erwirbt legal den Acker. So
kann er mit Fug und Recht über diesen Schatz verfügen. Denn er hat ihn ja in
seinem Acker nicht gefunden, aber immerhin ausgegraben. Der andere
verkauft alles, um die kostbare Perle zu bekommen. Vielleicht mit dem Kalkül,
sie noch teurer zu verkaufen.
Das alles liegt im Dunkeln.
Im Frühjahr war unser Gemeindekirchenrat zu einer Rüstzeit in Kryzowa, in
Kreisau, in Polen. Auf der Suche nach einem interessanten Stopp am Sonntag
zwischen Gottesdienst und Rückfahrt haben wir eine kleine Stadt besucht,
auf die mich Wolfgang Iskraut, ein Kollege, hingewiesen hatte. Das war auf
der einen Seite fast so eine überraschende Schatz-Findung wie in der
biblischen Geschichte heute. Zum anderen erfuhren wir aber auch von einem
Mann, der sich um die Syngaoge in diesem Ort kümmert. Raphael Blau lebt
teils in Israel, teils in Dzierzoniów, dieser kleinen Stadt in Polen. Dieser Ort
hatte nach dem Krieg in einem Jahr drei Namen: Reichenbach / Rychbach /
Dzierzoniów. Kurz nach dem Holocaust wurde die selbstverwaltete „jüdische
Republik“ Rychbach gegründet. Sie existierte für vier Jahre. 1946 lebten in
diesem Ort 18.000 jüdische Menschen. Vor dem Krieg gab es eine jüdische
Gemeinde mit 70 Mitgliedern. Erzählen will ich aber von Raphael Blau, der
diese unzerstörte Synagoge irgendwann kaufte und nach und nach
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WGü Predigt 28.07.24
restauriert. Er folgt damit offensichtlich einer großen Sehnsucht, möchte
diesen Ort erhalten und zugänglich machen. Aber er ist auch ein
Schatzsucher. Raphael Blau stöbert gern auf Flohmärkten. Was er an
interessanten Dingen und Schätzen findet, kann man im Erdgeschoss der
Synagoge bewundern. Eines fehlte der Synagoge noch. In dem
Gottesdienstraum in der ersten Etage konnte man klar erkennen, wo einmal
der Thoraschrein gewesen war, der Ort, an dem die Schriftrollen für den
gottesdienstlichen Gebrauch aufbewahrt wurden. Und dann fand Raphael
Blau in einem Antiquitätengeschäft einen Thoraschrein und war sofort
entschlossen, ihn für „seine“ Synagoge zu erwerben. Aber der Eigentümer
des Geschäfts sagte, der sei unverkäuflich. Man kann sich die Enttäuschung
vorstellen. Endlich war das, was der Synagoge fehlte, zum Greifen nahe und
dann diese Antwort. Es wird erzählt, dass Raphael Blau ungehalten war und
den Inhaber des Geschäfts zur Rede stellte. Der Grund war klar. Der
Geschäftsmann sagte: „Diesen Thoraschrein verkaufe ich nur an jemanden,
der eine Synagoge hat.“ Und Raphael Blau wird wohl sehr schnell
geantwortet haben: „Kein Problem, habe ich.“ Jedenfalls steht der
Thoraschrein heute in der Synagoge von Dzierzoniów.1
Diese Geschichte ist fast schon bibelwürdig. Natürlich ist sie nicht aus der
Bibel. Aber mit Tewje dem Milchmann aus dem Roman von Scholem
Alejchem könnte man sagen: Aber sie könnte drin stehen.
Jesus vergleicht die beiden Schätze mit dem Himmelreich. Eigentlich geht es
gar nicht um die Schätze, sondern es geht um das Himmelreich, das nicht
irgendwo in der Zukunft liegt, sondern unter uns schon da ist, schon beginnt,
immer mal aufblitzt. Aber richtig da ist es noch nicht.
1 Der Passus zur Synagoge in Dzierzoniów und zum Engagement von Raphael Blau bin ich
auf meine Erinnerung an die Führung in der Synagoge und auf Recherchen im Internet
angewiesen. Ungenauigkeit bitte ich – vor allem gegenüber Raphael Blau – zu
entschuldigen.
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WGü Predigt 28.07.24
Und das Himmelreich finden, entdecken Menschen eben auf ganz
verschiedene Weise. Eher zufällig wie ich meinen Stein an der Nordsee oder
unser Gemeindekirchenrat das kleine Städtchen Dzierzoniów. Oder nach
langer Suche, von Sehnsucht geleitet, von Begeisterung getrieben, wie
Raphael Blau den Thoraschrein.
Das Himmelreich können alle Menschen finden. Arme und Reiche, Menschen,
die Gott noch nie bewusst begegnet sind und die, die schon lange in ihrem
Leben an ihn glauben und mit ihm leben.
Und das Himmelreich ist etwas Nicht-Alltägliches, obwohl es in unseren Alltag
einbricht, in ihm gefunden werden kann. Es ist unendlich wertvoll wie Schatz
und Perle und es übt eine Anziehungskraft auf Menschen aus.
An dieser Stelle habe ich nach weiteren Geschichten gesucht, in denen das
Reich Gottes, das Himmelreich in unserem Alltag aufblitzt. Aber ich will sie
lieber ermutigen, nach solchen Zipfeln des Himmelreichs in ihrem Leben zu
suchen, sie einander zu erzählen. Ich erzähle also hier jetzt keine.
Schließen will ich mit einem kurzen Abschnitt aus dem „kritischen
Katechismus“ von Gerd Theißen.2 Auf die Frage: Was ist Glaube an Gott?,
antwortet er:
Glaube/ vertraut nicht auf die Welt,/ wie sie ist,/ sondern wie sie durch Gottes
Willen/ sein könnte./ Glaube/ vertraut nicht darauf,/ dass alles von selbst gut
wird,/ sondern dass wir Gutes tun können/ auch gegen den Widerstand/ in
uns/ und in der Welt.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alles, was wir zur Sache des Friedens
zu denken wagen, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Gemeinde: Amen.
2 Gerd Theißen, Glaubenssätze. Ein kritischer Katechismus, München ³2013, S. 15, zitiert nach
Predigtstudien2023/2024, Perikopenreihe VI, Zweiter Halbband, S. 118