Predigttext____________________________________________

1. Korinther 13, 1-13

Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle. Und wenn ich prophetisch reden könnte und wüsste alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und hätte allen Glauben, sodass ich Berge versetzen könnte, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich nichts. Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und meinen Leib dahingäbe, mich zu rühmen, und hätte der Liebe nicht, so wäre mir’s nichts nütze. Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie bläht sich nicht auf, sie verhält sich nicht ungehörig, sie sucht nicht das Ihre, sie lässt sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht zu, sie freut sich nicht über die Ungerechtigkeit, sie freut sich aber an der Wahrheit; sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles. Die Liebe höret nimmer auf, wo doch das prophetische Reden aufhören wird und das Zungenreden aufhören wird und die Erkenntnis aufhören wird. Denn unser Wissen ist Stückwerk und unser prophetisches Reden ist Stückwerk. Wenn aber kommen wird das Vollkommene, so wird das Stückwerk aufhören. Als ich ein Kind war, da redete ich wie ein Kind und dachte wie ein Kind und war klug wie ein Kind; als ich aber ein Mann wurde, tat ich ab, was kindlich war. Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunklen Bild; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich erkennen, gleichwie ich erkannt bin. Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.

Predigt______________________________________________

– es gilt das gesprochen Wort –

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Gemeinde: Amen.

Immer wieder sagen Menschen: „Ich kann das nicht glauben, was die Bibel erzählt.“ Sie wollen sich lieber an Handfestes halten, etwas, was man sehen und anfassen kann.

Solche Menschen sind in unserer Gesellschaft damit inzwischen fast schon eine Minderheit. Denn immerhin geht das Wort der Bibel sie etwas an. Sie beschäftigen sich damit. Sie sind dem Wort der Bibel gegenüber nicht gleichgültig. Es gibt ja auch so viele – die sind damit noch nie wirklich in Berührung gekommen. Es hat sie weder angerührt noch ergriffen. Es interessiert sie weniger als die Supermarkt-Reklame im Briefkasten.

Nur zu verständlich ist, dass Menschen fragen: Wo ist denn Gott?! Schaut mal in die Ukraine, schaut mal nach Armenien, nach Nigeria, schaut mal nach SyrienWo ist Gott, warum greift Gott nicht ein? Warum sorgt er nicht dafür, dass Krieg und Elend ein Ende haben?! Und jetzt noch das schreckliche Erdbeben im Nahen Osten – warum lässt Gott das zu?! 

Wahlweise werden auch andere, persönliche und politische Katastrophen angeführt. Das führt stets zu einem ähnlichen Ergebnis: Die Zweifel werden größer und größer bis die Meinung vorherrscht: ‚Es hat sowieso keinen Sinn …‘ – ‚Es gibt keinen Gott.‘ Das Thema Glauben hat sich erledigt.

Die meisten von uns werden solche Gedanken kennen. Aber wir wären heute nicht in den Gottesdienst gekommen, wenn wir nicht den Wunsch hätten, etwas anderes zu hören. Und da haben wir heute diesen wunderbaren Text von Paulus. Das Hohelied der Liebe.

Alle, die aus dem Wasser der Taufe auftauchen, haben dieses besondere Geschenk bekommen. Ihnen ist einmal und ein für alle mal gesagt worden: Gottes Liebe lässt Dich niemals fallen. Gott hält dich im Leben wie im Tod – komme was wolle.

Diese Liebe kann man nicht sehen, genau wie den Glauben. Aber wenn wir Liebe spüren, die Liebe eines Menschen oder die Liebe Gottes, dann zweifeln wir nicht, dass es Liebe gibt. 

Das Hohe Lied der Liebe. Paulus hat die Worte mit Bedacht gewählt. Er hat sie sorgfältig geschliffen, so wie ein Dichter an seinen Versen feilt und versucht, das Wesen der Liebe einzufangen. Es lohnt sich sehr, dieses 13. Kapitel im 1. Korintherbrief wieder und wieder zu lesen und zu meditieren. Fast jeder Satz in diesem Text hat ein Gewicht. Einen will ich hervorheben. In Vers 8 lesen wir. Die Liebe gibt niemals auf. Die Luther-Übersetzung tönt antiquiert, aber vertraut: Die Liebe höret nimmer auf. Viele Menschen kennen diesen Satz in- und auswendig, tragen ihn im Herzen. Und er beginnt zu leuchten und seine Facetten zu zeigen, wenn wir genau hinschauen.

In der Einheitsübersetzung klingt es fast gleich: Die Liebe hört niemals auf. Die Übersetzung in der Zürcher Bibel kommt der wortwörtlichen Bedeutung sehr nahe: Die Liebe kommt niemals zu Fall.

Das griechische Wort πίπτω (pipto), das dort steht, bedeutet „einstürzen, in sich zusammenfallen“.

Niemals – meint Paulus, niemals wird sie einstürzen: Gottes Liebe fällt nicht in sich zusammen.

Mir ist dazu ein „neudeutsches“ Wort in den Sinn gekommen: Unkaputtbar sagt man manchmal, um Unzerstörbarkeit auszudrücken.

Gottes Liebe ist unkaputtbar. – Mit nichts, aber auch gar nichts ist die Liebe Gottes kleinzukriegen. Mögen auch die größten und mächtigsten Kräfte dieser Welt walten, mag die Erde beben und alles andere zusammenbrechen – Gottes Liebe ist unkaputtbar. (PAUSE)

Vielleicht wandern auch eure Gedanken bei diesen Worten von der nie vergehenden, nicht fallenden, niemals einstürzenden, unkaputtbaren Liebe zu den Trümmern der Hochhäuser im Erdbebengebiet… und ihr könnt das alles nicht zusammendenken.

Aus der Türkei und aus Nordsyrien erreichen uns schreckliche Nachrichten. Ein Bild der Katastrophe ging um die Welt. Es zeigt einen Mann in einer orangenen Jacke, vor einem undefinierbaren Haufen Schutt kauernd, neben ihm eine Matratze, bedeckt von schweren Betonplatten und Steinen. Der Mann streckt seine linke Hand aus in Richtung der Matratze.

Und dann erst erkennst du die kleine Hand, die er nicht loslässt. Seine fünfzehnjährige Tochter Irmak ist unter den Trümmern begraben. –

Und du siehst die unzerstörbare Liebe, die ihn mit seiner Tochter verbindet, eine entschlossene Geste inmitten von Tod, Chaos, Zerstörung und unfassbarem Leid. Ein Vater hält die Hand seiner Tochter … unkaputtbare Liebe.

Ja, das zerreißt einem das Herz. Man wird stumm und möchte nur noch weinen.

Und dann sagt Paulus: Was für immer bleibt, sind Glaube, Hoffnung und Liebe, diese drei. Aber am größten von ihnen ist die Liebe.  

Er hat diese große Gewissheit: Gottvertrauen wird in uns wachsen, wenn wir uns von Gottes Hand gehalten wissen.

„Aber wie? Wie komme ich dahin? Wie geht das?“ Zweifel über Zweifel.

Paulus ist sich sicher, eine Antwort geben zu können.

Einen Vers zuvor (1 Kor 12,31) hatte er geschrieben: „Ich zeige euch einen Weg, der weit über das alles hinausführt.“ Und dann spricht er davon, was Menschen tun und lassen sollten, die sich von Gottes Liebe leiten lassen.

Da Paulus wie Jesus im jüdischen Glauben aufgewachsen ist, trägt auch er einen großen Schatz in sich. Tag für Tag betete er das Sch’ma Israel: „Höre, Israel: Der HERR, unser Gott, ist der einzige HERR. Und du sollst den HERRN, deinen Gott, lieben, von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit deiner ganzen Kraft.“ (Dtn 6,4f.) Dieses Gebet half ihm, darüber nachzudenken, was dies für ihn persönlich bedeutet, wie Liebe Realität wird – mit Herz und Verstand, mit jedem Atemzug, mit aller Kraft.

Und das war durchaus nicht einfach angesichts der Probleme und Eifersüchteleien, die es beispielsweise auch in der korinthischen Gemeinde gab.

Liebe erweist sich immer konkret im Miteinander der Menschen, im Alltag. Da zeigt sich ob jemand liebevoll ist oder eher nicht. Die ersten Verse aus 1. Kor.13 lassen tief blicken: respektlos, egoistisch, jähzornig, nachtragend… sind Stichworte. Das, was Liebe nicht ist – kennen wir auch aus unserem Leben. Lest selbst, was da alles treffend festgehalten ist!

Und alle besonderen Fähigkeiten, die ein Mensch haben kann, ob jemand der Schnellste oder die Schönste, oder die Klügste oder der Erfolgreichste ist – alles ist nichts wert, wenn keine Liebe dabei ist. Allein die Liebe zählt. In Gottes Augen hat nur Bestand, was wir in und mit Liebe tun.

Ich möchte unser Augenmerk noch auf das Gegenbild richten, das Paulus skizziert. Denn er ist felsenfest davon überzeugt und will es seinen lieben Schwestern und Brüdern in Korinth in allen möglichen Varianten ans Herz legen, dass sie es endlich begreifen: Du bist nicht ohne Liebe! Du kannst Liebe geben!

Dir wird es gelingen, von dir selbst abzusehen, auch wenn’s etwas kostet, unter Umständen sogar das Leben. Du ahnst, dass die Zerrissenheit dieser Welt nicht alles ist. Und die kostbaren Zeichen der Liebe, die wir jetzt erleben, sind nur ein winziger Vorgeschmack im Vergleich zu dem Vollkommenen, das uns erwartet.

Du wirst dich für den oder die Andere einsetzen, weil sie dir am Herzen liegen.

Du wirst geduldig und unerschütterlich bleiben, denn du kannst dich liebevoll darauf ausrichten, was hier und jetzt dran ist.

Gibt es etwas zu verzeihen, dann wirst du nicht nachtragend sein und nimmst dich auch mal zurück. Du kannst auch schweigen und musst nicht immer gewinnen. Mit langem Atem wirst du weiterkommen und erleben, wie Gottes Liebe dich wachsen lässt.

Du wirst lernen, das Antlitz Gottes in jedem Menschen zu erkennen.

Den Versuchungen von Macht und Gewalt wirst du widerstehen, denn du bist nicht mehr korrumpierbar.

Und wenn die Liebenden sich zusammentun und gemeinsam darauf vertrauen, dass Gottes Liebe sie hält und trägt, dann werden sie eine starke Gemeinschaft sein in dieser Welt.

Sie werden sichtbare und handfeste Zeichen Gottes sein, so dass die Zweifelnden sich verwundert fragen: Was ist das nur für eine Kraft, die sie ausstrahlen?

Paulus meint uns. Zu uns sagt er: Ihr, meine Lieben! Du, du bist mit Gottes Geist beschenkt.

In dir wirkt die große, unkaputtbare, schöpferische Kraft der Liebe, von der wir jetzt nur einen Bruchteil erahnen.

Und wenn du dich von dieser Macht bestimmen lässt, dann wirst du frei. Selbstbewusst wirst du dich aufrichten und wissen: Ich bin Gottes geliebtes Kind. Nichts und niemand kann mich von Gottes Liebe trennen. Sie hält mich in den Abgründen des Lebens und lässt mich niemals los, auch wenn das Äußere und Offensichtliche dagegen sprechen mag.

Ob diese Worte, so toll Paulus sie geschliffen hat, einen der eingangs erwähnten Skeptiker überzeugen werden? Ich weiß es nicht. 

Vielleicht, wenn wir solche Menschen ins Gespräch ziehen, ihnen zuhören, unseren eigenen Glauben in Frage stellen und abklopfen lassen, ihn erklären.

Denn so einfach ist es ja wirklich nicht. Es ist nicht so klar, wo Gott nur eingreifen könnte und wo wir Menschen sehr wohl etwas tun können. 

Die Sängerin Dota Kehr hat ein Lied geschrieben mit dem Titel Galaktika. Sie beschreibt darin die Aussichtslosigkeit, die sie fühlt. 

Die Aussichtslosigkeit, etwas zu tun für eine bessere Welt, erfolgreich etwas zu tun. Und dann singt sie: „Aber insgeheim wünsch ich eine einfache Lösung herbei. Zum Beispiel eine lila Fee, die uns raushaut, die uns alle erlöst, denn wir haben Mist gebaut.“ Und dann ruft sie nach Galaktika, der lila Fee.

„Wir rufen dich, Galaktika! Wir rufen dich, Galaktika!

Renk es ein! Mach, dass es geht!

Von deinem Stern Andromeda. Von deinem Stern Andromeda. 

Bitte komm bald! Es ist noch nicht zu spät.“

Dota Kehr legt den Finger in die Wunde unserer Unentschlossenheit. Wir wollen Nachhaltigkeit ohne Verzicht. Wir wollen Privilegien für alle. Wir wollen Komfort ohne Reue. Wir wollen die bleiben, die wir sind und wir wollen Rettung, bevor es wehzutun beginnt. 

Das Bild vom Bundestag, der wie eine Gemeinde aufsteht und singt, um diese Fee herbeizuflehen, trifft nicht nur die Lächerlichkeit einer Hoffnung, die meint, es werde schon irgendwie gut gehen und eine höhere Macht würde unsere Probleme schon lösen. Sie trifft auch so manche Ausformung christlicher Hoffnung, die meint, Gott werde schließlich schon zu seinem Versprechen an Noah stehen und das Werk seiner Hände nicht fahren lassen. 

Dota Kehr wäre nicht Dota Kehr, wenn sie nicht zu einem anderen Schluss käme. Sie singt von der lila Fee Galaktika: „Und ich weiß, sie kommt natürlich nicht und ja, das heißt, wir sind nicht aus der Pflicht.“

Und so ist das auch mit unserem Glauben. Der vermeintlich starke Glaube an Gottes Handeln entpuppt sich nur zu oft als schwacher Wille, Verantwortung zu übernehmen für das, was die Menschen täglich mitverursachen.

Und dabei sind wir als Christinnen und Christen doch in der tollen Situation, dass Gott uns etwas zutraut. Er ruft uns in die Nachfolge Jesu und trotzdem haben wir eben auch die Hoffnung, dass er das Werk seiner Hände, seine Schöpfung, trotzdem nicht fahren lässt.

Zwei Beispiele möchte ich dafür nennen, was Menschen bewirken können, die von der Liebe zu Gott oder von der Liebe zu den Menschen oder von beidem getrieben sind. 

Irgendwo habe ich gehört, dass ein türkischer Bürgermeister immer wieder dafür angegriffen und belächelt wurde, dass er Bauvorschriften im Erdbebengebiet genau befolgte und keine Ausnahmen genehmigt hat. In diesem Ort soll es deutlich weniger Erdbebenopfer gegeben haben als in andern Städten. 

Aus Litauen habe ich gehört, dass es dort Menschen gibt, die wahllos Telefonnummern in Russland anrufen und den Menschen dort erzählen, was sie über den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine wissen. 

Zwei Beispiele dafür, wie Liebe sich auswirken kann. Zwei Beispiele, die auch Beispiele sein könnten für ein Leben in der Nachfolge Christi.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alles, was wir zur Sache des Friedens zu denken wagen, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.     

Gemeinde: Amen.

Diese Predigt enthält Gedanken und Formulierungen von Pfarrerin Sabine Handrick aus Düdingen.