Silvester

31. Dezember 2022

Dorfkirche Döbbrick und Klosterkirche zu Cottbus 

– es gilt das gesprochene Wort –

Predigttext:  Römer 8, 31-39

Was sollen wir nun hierzu sagen? Ist Gott für uns, wer kann wider uns sein? Der auch seinen eigenen Sohn nicht verschont hat, sondern hat ihn für uns alle dahingegeben – wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken? Wer will die Auserwählten Gottes beschuldigen? Gott ist hier, der gerecht macht. Wer will verdammen? Christus Jesus ist hier, der gestorben ist, ja mehr noch, der auch auferweckt ist, der zur Rechten Gottes ist und für uns eintritt. Wer will uns scheiden von der Liebe Christi? Trübsal oder Angst oder Verfolgung oder Hunger oder Blöße oder Gefahr oder Schwert? Wie geschrieben steht: »Um deinetwillen werden wir getötet den ganzen Tag; wir sind geachtet wie Schlachtschafe.« Aber in dem allen überwinden wir weit durch den, der uns geliebt hat. Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch irgendeine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn.

Predigt

Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und unserem Herrn Jesus Christus.    Gemeinde: Amen.

Die Zeit fühlt sich an wie ein Fluss. Sie fließt immer weiter – vorbei an Orten, Ereignissen und Menschen. Scheinbar haben wir das Boot gerade ins Fahrwasser von 2022 gesetzt, halten wir es als Gemeinde langsam an zum Silvesterabend. Das Tempo wird gedrosselt, der Motor ist abgeschaltet oder das Paddel ins Boot gelegt. Wir halten Rückblick und Ausblick. Wir sind in diesem Augenblick, über den wir zu Beginn meditiert haben. Ein seltsamer Moment, für manche ein eigenartiger Abend. Er birgt die Möglichkeit eines kostbaren Ein- und Ausatmens, bewusst, nachdenklich, dankbar, vertrauensvoll. Vielleicht auch ängstlich, bedrückt. „Was sollen wir nun hierzu sagen?“ Viele von uns werden sich die Frage stellen, die Paulus unserem Predigttext vorangestellt hat. Sie gehört eigentlich heute nicht zum Predigttext. Aber für mich gehört sie dazu. „Was sollen wir nun hierzu sagen?“

Hört man dem Paulus weiter zu, so hört man zum ersten einen wunderschönen biblischen Text. Für manche gehört er zu den schönsten überhaupt. Da spricht einer von Trübsal, Angst, Verfolgung, Hunger, Blöße, Gefahr und Schwert und hat das alles – bis auf das Schwert – am eigenen Leibe erfahren. Und er ist voll eines Grundvertrauens, das unerschütterlich und ganz selbstverständlich scheint. Nichts kann ihn von der Liebe Gottes trennen. Für Predigerinnen und Prediger ist es verführerisch, zu diesem Grundvertrauen einzuladen wie an einen Ort, wie an die Krippe zu Weihnachten. Zu sagen: Kommt und seht! Paulus hat es erlebt und erfahren. Ihr müsst es nur ihm gleichtun und euch klarmachen, dass ihr immun seid gegen Gefahr und Angst. Euch kann nichts geschehen. Der Bereich von Gottes Liebe durchdringt euer ganzes Leben und ihr könnt gelassen sein wie keine andere und kein anderer. 

Wenn es so einfach wäre!

So wie wir in den vergangenen Jahren eine Immunität gegen das Virus nicht unser Eigen nennen konnten und nicht erwerben konnten so können wir als glaubende Menschen eine Grundimmunität gegen die Kräfte des Bösen nicht unser Eigen nennen. 

Vielleicht ist nach Abschied und Tod dein Faden zu Gottes Liebe abgerissen?

Vielleicht sitzt du mehr als Suchende denn als Vergewisserte an diesem letzten Abend des Jahres in diesem Gottesdienst und fragst: Wo war Gottes Liebe in diesem zurückliegenden Jahr?

Als glaubende Menschen können wir eine Grundimmunität gegen die Kräfte des Bösen, gegen Angst und Sorge, gegen Gewalt und Verfolgung keinesfalls unser Eigenes nennen. 

Im besten Fall wird uns das geschenkt und wir fragen uns nach solch einem Jahr verwundert: Wie kann das sein? Warum ist mein Glaube trotz allem da und trägt mich?

Viel mehr aber wird uns alle die Frage des Paulus verbinden: „Was wollen wir nun hierzu sagen?“

Vielleicht brauchen wir dazu erst einmal eine ganz persönliche Bestandsaufnahme. 

Wie viel Wasser habe ich am Ende dieses Jahres noch unter dem Bug?

Welche Menschen und Dinge sitzen mit mir im Boot?

Was habe ich hinter mir gelassen, was ist mir einfach so hineingeworfen worden?

Wofür bin ich dankbar?

Welche Last des Jahres nehme ich mit hinüber ins neue Jahr?

Was kann ich im alten Jahr getrost zurücklassen?

Welche Stürme habe ich erlebt und in welche Tiefen musste ich blicken?

Was ging mir nah und was halte ich fern?

Wo schien mir alles zu hoch?

Wo haben Trübsal, Angst, Verfolgung, Hunger, Blöße oder Gefahr oder Schwert mein Boot zum Schwanken gebracht?

Paulus findet für sich eine wunderbare Antwort. Vielleicht überlegen Sie in den nächsten Tagen einmal, wie nahe sie sich ihm fühlen. Wenn Paulus Ihnen beim Kirchencafé, bei einem Familienfest, zu dem Sie eingeladen sind oder in einem öffentlichen Rahmen begegnen würde und Sie könnten ihn ansprechen, ein Gespräch beginnen? Würden Sie sich trauen? Was möchten sie ihn fragen? Haben Sie das Gefühl, Sie könnten ihn auf Augenhöhe auf seine Erfahrung ansprechen, weil Sie diese Erfahrung teilen? Oder hätten Sie das Gefühl, einem Großen der Welt-, Glaubens – und Literaturgeschichte gegenüberzustehen und es würde Ihnen die Sprache verschlagen? 

Wie wir die Worte des Paulus hören, wird stark davon abhängen, wie wir die eben genannten Fragen beantworten. Können wir die Worte des Paulus als eine Art Generalberuhigung hören, die trotzdem zum Handeln einlädt? Ich denke das geht. Das heißt nicht, dass es funktionieren muss. Paulus redet das Schwere nicht klein. Er macht die Liebe dessen, der es uns exemplarisch vorgelebt hat, dass uns nichts von der Liebe Gottes scheiden kann, sehr groß. Eine Generalberuhigung trotz aller Turbulenzen. Eine Beruhigung, die über allem steht und alles trägt. Wir finden vielleicht Beispiele in unserem Leben, bei Menschen, die wir kennen, die das erlebt haben. Dass die Stürme groß waren, aber die Liebe Gottes nicht verschwand, nicht unsichtbar wurde. 

Gott ist uns mit seiner großen Liebe in dem Kind in der Krippe nahegekommen. Er hat uns durch Jesus Christus gezeigt, wie Liebe sein kann. Darum lade ich euch an diesen Ort ein. An die Krippe. Da liegt das Kind, das ein starker, wirkmächtiger, handelnder Mensch mit einer großen Liebe geworden ist. Marc Chagall hat Jesus aus seiner jüdischen Sicht als einen „unserer liebevollsten Rabbiner, der stets für die Bedrängten eintrat“ bezeichnet. Für uns Christinnen und Christen ist er noch mehr. Kein Kind hat Gott gehabt auf diese eine Weise. Gott ist Menschen geworden. So liebt er uns – noch heute. Von diesem Glauben war Paulus erfüllt. Diesen Glauben bietet uns Paulus an, wohl wissend, dass nur Gott ihn schenken kann. 

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, wird eure Herzen und Sinne in Christus Jesus bewahren. Gemeinde: Amen.